Michael Hahn, 1986

„theophiles“ und „Damaris Joy“ vor über 1000 Fans in der Beutelsbacher Halle:

Abschied mit einer Träne im Knopfloch

Weinstadt-Beutelsbach. – Kann man mit zwei akustischen Gitarren und einem Schlagzeug überhaupt Musik machen? Diese Frage wird dem Dortmunder Folk-Rock-Trio „theophiles“ seit 15 Jahren immer wieder gestellt. Man kann: Dr. Christoph Kolbe, Manfred und Bernd Primke demonstrieren dies in diesen Tagen ein letztes Mal ihrer Fangemeinde.

Was 1971 begann, wird nun mit einer Deutschland-Tournee fröhlich-schwungvoll, aber auch „mit einer kleinen Träne im Knopfloch“ zu Grabe getragen. Berufliche und private Gründe gaben den Ausschlag, dass das Aushängeschild der deutschen Gospelmusikszene die musikalische Zusammenarbeit beendet.

Eingeladen von der evangelischen Allianz Weinstadt machten die „theophiles“ bei der 13 Städt umfassenden Tour auch in der Beutelsbacher halle Station – gemeinsam mit den Profimusikern der Siegener Formation „Damaris Joy“ und vor über 1.000 Rockfans.

„Damaris Joy“ eröffnete den Reigen mit temperamentvollem Powerrock. Die heißen Bassläufe von Bandleader Hemi Jost schaffen gemeinsam mit der exzellenten Drumarbeit von Thomas Adam eine solide Basis für die wirbelnden Synthersizerstaccati der Gebrüder Hans-Martin und Karl-Friedrich Wahler. Vom Feinsten sind auch die rassigen Gitarrensoli von Frieder Jost. Das weitgestreute Spektrum reicht von dramatischem Bombastic-Rock („You’re the future and sthe past“) bis zum melodischen Jazz-Rock („Komm, lass uns gemeinsam lernen“). Neben musikalischen Ambitionen bringen die Rockmusiker auch eine „christliche Message“ mit. „Was braucht die Welt?“, so eine provozierende Frage in einem Song. Geld? Lebensmittel? – „das ist genug vorhanden“, beklagt sich Fontman Hemi Jost, „nur mit der Verteilung stimmt irgend etwas nicht“.

Etwas sanftere, getragenere Klängen brachten die „theophiles“ auf die Bühne. Vorzügliche Vokalharmonien, anspruchsvolle und doch eingängige Melodien und erstklassige Arrangements sind ihr in langjähriger Arbeit erworbenes Markenzeichen. Mal folkig-verträumt wie James Taylor, mal rockig-melodiös im Stil von Huey Lewis präsentieren sie ihre Songs. Das Folk-Trio überzeugt dabei durch Dynamik, Stimmkultur und rhythmische Prasierungskunst. Eine phantastische Mulit-Vision-Show verknüpft Musik und Bild phantasievoll. Die audiovisuelle Darbietung wird mit flotten Sprüchen und mit nachdenklichen Zwischenansagen gewürzt. Auch sie halten mit ihrem Glauben an Gott nicht hinter den Gitarren zurück. Eine Stecknadel hätte man fallen gehört, als der 33jährige Manfred Primke die Balade „Unvorbereitet“ ansagt …

Die Sahne auf den ohnehin sehr appetitlichen Musikkuchen hab’s im Schlussteil, den die Musiker beider Formationen gemeinsam zelebrierten. Jedes Stück enthielt jenen Funken von Spontaneität und Spielfreude, die die Begeisterung auf die Zuhörer überspringen lassen. Da musste man einfach zuhören, mitfühlen, mitswingen und mitklatschen. Angesichts der unverbrauchten Musikalität der Rockmusiker war es kein Wunder, dass die Fans nach dem dreitstündigen Live-Set ebenso atemlos und nass geschwitzt wie Bandmitglieder selber waren.

Mit minutenlangen „standing ovations“ feierten die Zuhörer die beiden Bands. Die bedankten sich auf ihre Weise: mit drei ohrwurmartigen Zugaben.

Michael Hahn